Wohnen in Wedel? Jetzt bloß keine Panik!

Wedel.

Da bin ich doch mal gelandet, als ich in der S-Bahn eingeschlafen bin.

Rentner wohnen dort. Und Willkommhöft gibts da.
Ja, in Wedel ist auch noch die Schiffsbegrüßungsanlage. Vielleicht auch noch irgendetwas anderes?

Du hast da jetzt ein Haus.

Wedel also.

Dafür bist du doch eigentlich viel zu jung.
Und du sollst da jetzt wohnen?

Ganz ruhig, erst mal scharf nachdenken…

…und keine Panik!

So oder so ähnlich waren meine ersten Gedanken, als ich damals das Haus in der Moorwegsiedlung übernommen habe. Von meiner Großtante, der ich nie sonderlich nahe stand. Doch ich und meine Eltern waren für sie da, als die Stadt Straßenanbindungskosten von den Anwohnern kassiert hat und ihre magere Rente nicht reichte. Ich rechnete nicht damit, dass sie es je zurückzahlen könnte.
Doch sie erinnerte sich an mich und bedankte sich mit der Erbschaft.

Und nun habe ich ein absurd baufälliges Haus in einer Stadt, über die ich bisher kaum mehr wusste als diese ersten, wenig schmeichelhaften Gedanken.
Und die Ideen, die danach unweigerlich folgten:

„Verkauf es. Das Haus ist marode, doch die Gegend ist schön. Du bekommst dafür eine hübsche Eigentumswohnung in Hamburgs angesagtestem Szeneviertel. Vielleicht sogar ein Loft, wie du es schon immer haben wolltest.“

Das war der erste Reflex. Zum Glück habe ich ihm nicht nachgegeben.

Die Erbschaft ist nun 4 Jahre her. Vier Jahre, in denen ich an dem Haus gearbeitet habe. Nicht so oft wie ich wollte, aber immer mal wieder. Sehr viele Dinge mussten gemacht werden. Heizungen? – Ja, gab es zumindest schon. Eine pro Stockwerk. Toilette? – In der Abstellkammer. Dusche? Ja. In dem Geschoss ohne Heizung. Waschbecken? Ein Steinbecken im DDR-Jugendherbergsstil. Eine Küche? Fehlanzeige. Diesen Kohlenofen mit der Kochplatte nenne ich nicht so. Das Haus wurde eben einfach mit dem ausgestattet, was damals nach dem Krieg noch so aufzutreiben war.

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Steckdose aus der Zeit Ludwig XIV.

Großtantchen kam aus Ostpreußen. Der Marshallplan half ihr nach der Flucht das Haus zu bauen, dass sie zusammen mit zwei anderen Familien bewohnte. Drei Familien also, auf 90 Quadratmetern. (Es waren andere Zeiten und vielleicht waren damals die Leute ja wirklich noch kleiner.) Jedenfalls hat das Haus seitdem nicht viele Reparaturen gesehen. Zwar habe ich Ersparnisse gehabt, aber bei weitem nicht genug, um alles einfach den Profis zu überlassen. Also möglichst viel Eigenarbeit.

Es gab also viel zu tun für mich.

Das ist jetzt 4 Jahre her. Oder in genaueren Zeitabschnitten: Neue Heizungen, Neue Wasserleitungen, neue Stormleitungen, mehrere herausgerissene Wände, erstaunlich viele zusätzliche Fenster, und jede Menge neu verputzter Wände.
Fertig bin ich noch lange nicht.

Aber inzwischen vergingen 4 Jahre Zeit in denen ich eine ganz andere Seite von Wedel kennenlernen konnte. Zuerst waren meine Besuche in der Stadt wirklich spärlich. Lust hatte ich selten und oft genug wusste ich nicht, wo ich überhaupt beginnen sollte. Wenn ich mich dann mal aufraffen konnte, dann führte mich mein Weg aus Hamburg direkt zu der Baustelle und wieder zurück, während ein Wedeler Stadtleben für mich einfach nicht existierte. Es kommt mir vor, als habe ich früher nicht mal die Möglichkeit erwogen, dass sich die Leute zu etwas anderem als zum Übernachten in Wedel aufhalten.

Oh, wie sehr habe ich mich doch über Wedel geirrt.

Ich weiss nicht mehr wann der Moment kam. Es muss aber von einem Tag auf den anderen passiert sein: Denn plötzlich hatte die Stadt ein Gesicht und ein Herz.
Wedel war für mich ohne das ich genau wusste wie es geschah von einem trockenen, staubigen Synonym des Wortes „Vorort“ zu einem lebendigen und aktiven Wesen geworden. Auf einmal war da für mich mehr in Wedel als nur ein paar Rentner, mehr als nur Willkommhöft und mehr als nur der Ort an dem die S-Bahn einfach umdreht, weil danach einfach nichts mehr kommt. (Tut mir leid, liebe Glückstädter. So ist es nun mal.)
Wedel war eines Morgens nicht mehr nur ein Anhängsel von Hamburg.
Sondern es war…Wedel, meine zukünftige Heimat.
Mit allen Höhen und Tiefen, mit Schönheit und Dreck, mit leidenschaftlichem Engagement und gemütlicher Bequemlichkeit, mit Hochglanz und mit Rost, mit eigenen Bürgerinitiativen und mit eigener Politik.

„Eine Stadt ist wie eine Frau“ philosophierte einer von Terry Pratchetts Romanhelden aus der verrückten Scheibenwelt. Ich selbst hatte ja schon immer Probleme damit gleich zu bemerken, wenn jemand mit mir flirtet. Und es hat wohl auch hier erst einen Moment gedauert, bis ich es erkannt habe:

Wedel hat mir zugezwinkert.
Und dann habe ich gelächelt und mich verliebt.

– Bastian Sue

4 Gedanken zu „Wohnen in Wedel? Jetzt bloß keine Panik!“

  1. Es braucht seine Zeit, aber man lernt Wedel schätzen und lieben.
    Auch wir sind aus Hamburg nach Wedel gezogen und haben es nie bereut.
    Heute ist Wedel Heimat.

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