Es ist Wahlkampfzeit.
Für die einen ist Europa weit weg, für die anderen wird das Schicksal unseres Kontinents nicht in Wedel entschieden. Gerade die Spitzenpolitiker jagen in Wahlkampfzeiten von einem Termin zum nächsten.
Serpil Midyatli, Landesvorsitzende der SPD Schleswig-Holstein, stellte sich einer kleinen, von der SPD Wedel organisierten Podiumsdiskussion.Neben ihr selbst waren André Meister, Betriebsrat in den Möller-Werken in Wedel, und Cornelis de Jong, Projektmanager mit holländischen Wurzeln eingetroffen.
In Wahlkampfzeiten sind Podiumsdiskussionen, die von einer der antretenden Parteien selbst ausgerichtet werden für gewöhnlich vor allem Selbstbeweihräucherung. Die eigene Partei wird hervorgehoben, die bereits feststehenden Ziele ein wenig diskutiert und Prognosen für die nächste Legislaturperiode gemacht.
Die Jugend übernimmt die Diskussion
Doch dann waren da noch die beiden letzten geladenen Podiumsgäste, Amby und Tim.
Die SPD hat die beiden Schüler von der Protestbewegung zur Rettung des Klimas „Fridays for Future“ ebenfalls eingeladen, an der Diskussion teilzunehmen.
Die Wedeler Schülerin Maj-Brit „Amby“ Kallauch und der Mitorganisator der Hamburger Freitagsdemos Tim Linsel wurden als einzige nicht mit vollen Namen vorgestellt. Doch wer deshalb nun – wie zugegebenermaßen zunächst auch der Autor! – erwartete, dass für den Besuch der Landesvorsitzenden ein paar Stichwortgeber präsentiert werden sollten, oder die SPD mit den beiden jungen Gästen eine Fridays-for-Future-Solidarität bezeugen wollte, hatte sich sehr getäuscht.
Die Schüler verwandelten die Wahlkampfveranstaltung für die SPD und ihre Landesvorsitzende in eine kritischen Aussprache.
Midyatli eröffnet die Diskussion mit der Beobachtung, dass die Europawahl deutlich mehr Interesse bei den Wählern hervorruft, als vergangene Wahlperioden. Sie sieht als eine Ursache das momentan stattfindende Brexit-Chaos, dass dazu führt, dass sich nun mehr Menschen für die europäische Politik interessieren.
Das Eröffnungswort ist kaum gefallen, da wirft Tim bereits ein:
„Nicht wegen dem Brexit interessieren sich Leute für Europa. Vor allem die Jugend sieht wichtigere Probleme, echte Probleme:
Die Klimakatastrophe ist kaum noch zu stoppen, Tausende Tierarten sterben aus, irgendwann auch der Mensch. Nein – Immer mehr und vor allem die jungen Leute gehen nicht wegen dem Brexit wählen, sondern wegen dem Klimawandel!“
Ab diesem Moment war es für die SPD keine Wahlkampfveranstaltung mehr.
Es wurde zu einem Abend der Selbsterkenntnis.
Serpil Midyatli, zunächst noch im Wahlkampfmodus, bemüht sich, die Erfolge ihrer Partei in der Klimapolitik aufzuzählen, doch die Schüler lassen nicht locker und fordern von der SPD, was sie in ihren Augen dringend nötig hat: Selbstkritik.
Die Schüler dominierten schon bald die Debatte und argumentieren für eine bessere Klimapolitik der SPD. Der Besuch der Landesvorsitzenden ist längst zu ihrer eigenen Veranstaltung geworden.
Zwei Sätze dieses Abends waren sehr bedeutsam:
Tim:
„6 Jahre seid ihr nun in der Großen Koalition, doch 6 Jahre ist da nichts passiert!“
Später muss auch die Landesvorsitzende Midyatli eingestehen:
„Als Juniorpartner in der Koalition fehlen uns die Mehrheiten um alles aus unserem Programm durchzusetzen“
Und selbst dann wirft Tim gleich wieder ein, dass die Wahlprogramme aller Parteien, inklusive SPD beim Klimaschutz nicht weit genug gingen. Alles was dem von Midyatli an Erklärungen dazu folgt, wirkt inzwischen mehr wie eine Entschuldigung für die zweite Große Koalition, statt wie eine Erklärung für die schwache Klimapolitik der Bundesregierung. Sie sieht die vergangene Landtagswahl als Entscheidung der Wähler gegen die Energiewende.
Neben den Themen des politischen Rechtsrucks und wie man Europa in der Bevölkerung wieder interessanter und attraktiver machen könnte bleibt das Thema Klima immer übergeordnet und präsent. Über die Zeit nach der Europawahl wird kaum gesprochen, denn die Schüler lassen die SPD niemals vom Haken. Sie zwingen sie bei jedem Thema weiterhin zu einer Selbstkritik.
Hat die SPD mit der Einladung der Schüler einen Fehler gemacht?
– Nein. Sie haben genau die Diskussionspartner eingeladen,
die sie dringend brauchen.
Man sollte meinen, dass die SPD über so viel Kritik während ihrer eigenen Veranstaltung enttäuscht sein sollte. Doch auch bei den Sozialdemokraten hat man erkannt, wie wichtig diese Aussprache ist.
Am Ende des Abends scheint Serpil Midyatli, momentan ein aufstrebender Stern in der Sozialdemokratie, verstanden zu haben, dass die Versäumnisse der letzten Jahre vor der kommenden Generation einfach nicht mehr zu rechtfertigen oder schönzureden sind. Gerade deshalb könnte diese eher kleine Veranstaltung auch für sie sehr wegweisend gewesen sein:
Als gerade erst vor 2 Monaten frisch gewählte Landesvorsitzende wird Midyatli das Profil und die Politik der Schleswig-Holsteinischen SPD in den kommenden Jahren maßgeblich mitgestalten. Spätestens, als zwei Schüler sie und die SPD vor 30 Gästen gnadenlos in die Verantwortung nehmen, hat die frisch gewählte Landesvorsitzende verstanden, dass sie in ihrer neuen Position den Kurs ihrer Vorgänger keinesfalls einfach wie gehabt weitertragen darf.
Gerade deswegen war die Einladung der SPD an die Schüler als ihre Kritiker sehr mutig und vollkommen richtig:
Man hat erkannt, dass eine Erneuerung der Partei dringend notwendig ist. Und dazu gehört auch, zu den eigenen Fehlern und Versäumnissen in der Klimapolitik zu stehen.
Dass die SPD dazu bereit zu sein scheint, sich ihren schärfsten Kritikern zu stellen, war wohl ihre beste Botschaft in diesem Wahlkampf.
Bastian Sue,
der Löwenseelenkater
NACHTRÄGLICHE ERGÄNZUNG:
Ein halbes Jahr, am 26.9.2019 später folgt eine gemeinsame Resolution aller Fraktionen und Beiräte zur Ausrufung des Klimanotstandes in Wedel.
Die SPD WEDEL scheint die Botschaft aus der Veranstaltung mit der Landesvorsitzenden Serpil Midyatli verstanden zu haben.
Rüdiger Fölske gab ein sehr klares, lesenswertes Statement zu einer aktiveren, besseren Klimapolitik der SPD ab, dass an dieser Stelle dazu ergänzt werden sollte:
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Ein halbes Jahr später folgt eine gemeinsame Resolution aller Fraktionen und Beiräte zur Ausrufung des Klimanotstandes in Wedel.
Die SPD WEDEL scheint die Botschaft aus der Veranstaltung mit der Landesvorsitzenden Midyatli verstanden zu haben.
Rüdiger Fölske gab ein sehr klares Statement zu einer aktiveren, besseren Klimapolitik der SPD ab, dass an dieser Stelle dazu ergänzt werden sollte:
https://www.spd-wedel.de/2019/09/27/der-klimanotstand-ein-signal-fuer-die-buerger-der-stadt-wedel/?fbclid=IwAR3JAy7_nTZycyFlNiSm4qiErCkRkZOx2CVt-3KjuS56jYYdU2dxE4pKNXY